Triumph der Arbeit

Usain Bolt hat auch an diesen Olympischen Spielen seine beiden Einzelrennen gewonnen. Doch die Zeiten waren weniger gut, als er selbst erhofft hatte. Dennoch hinterlässt er ein grossartiges Erbe.

Remo Geisser, Rio de Janeiro
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Über 200 m wie über 100 m noch immer der Schnellste, aber nicht mehr so schnell wie früher: Der Jamaicaner Usain Bolt (2.v.l.). (Bild: Yoan Valat / Keystone)

Über 200 m wie über 100 m noch immer der Schnellste, aber nicht mehr so schnell wie früher: Der Jamaicaner Usain Bolt (2.v.l.). (Bild: Yoan Valat / Keystone)

An diesem Donnerstagabend ist Usain Bolt zum Janus geworden, zum Mann mit zwei Gesichtern. Eines davon zeigt er, als er die Zielgerade hinunterläuft. Er beisst auf die Zähne, kämpft sich mit seinem Willen durch. Danach macht er mit der Hand zweimal eine wegwerfende Bewegung. Doch dann setzt er schnell sein Lächeln auf, tanzt, geht in die Knie und küsst die Ziellinie. Das ist ein Abschied. Bolt ist soeben sein letztes Einzelrennen an Olympischen Spielen gerannt. Er hat es gewonnen, wie alle anderen seit 2008. Deshalb wendet er sich einer Kamera zu, und es ist unschwer von seinen Lippen zu lesen, was er ruft: «Number one!»

Der Jamaicaner wird die olympische Bühne verlassen, als grösster Athlet, den seine Sportart je gesehen hat. Neun Jahre lang hat er den Sprint dominiert, er liess sich in olympischen Einzelrennen nicht ein Mal besiegen, und er setzte Weltrekorde von fast ausserirdischem Niveau: 9,58 über 100 m und 19,19 über 200 m. Wenn er zu Titelrennen antrat, war er stets in besonders guter Verfassung. Er krönte seine Siege jeweils mit hervorragenden Zeiten.

Das ist ihm in Rio nicht mehr gelungen, und das erklärt sein verzerrtes Gesicht auf den letzten Metern. Bolts Siege hier waren Triumphe der Arbeit, nicht der Leichtigkeit. 9,81 lief er über 100 m, 19,78 über 200 m. Bei all seinen früheren Titelgewinnen war er schneller gewesen. Er sagt selbst, dass er damit nicht zufrieden sei. «Ich bin gekommen, um hier Weltrekord zu laufen.» Doch der Körper wollte nicht. Über 100 m war die einstündige Pause nach dem Halbfinal zu kurz, als dass er sich erholen konnte. Und als er im 200-m-Final in seiner unwiderstehlichen Art aus der Kurve kam, wurden die Beine plötzlich schwer.

So werden uns von diesen Spielen neben den Medaillen zwei Bilder aus den Halbfinals in Erinnerung bleiben. Über 100 m hatte Bolt zum Top Speed beschleunigt und gespürt, dass in seiner Mensch-Maschine alles funktionierte. Er trudelte aus und lief mit einem seligen Lächeln über die Linie. Auch im 200-m-Halbfinal spurtete er mit grösster Leichtigkeit. Als er abbremste, schloss André de Grasse zu ihm auf, die beiden drehten die Köpfe, sahen sich an und rannten lachend ins Ziel. Zwei Buben, die sich an ihrem Spiel erfreuten.

Bolt sagte nach dem 200-m-Final: «Ich habe den Sport aufregend gemacht, die Menschen dazu gebracht, uns zuzuschauen. Ich habe den Sport auf ein neues Niveau gehoben.» Das ist es, was er als Erbe hinterlässt.