Bob Marley hat Jamaica auf die Weltkarte des Pop gesetzt. Noch heute scheint er allgegenwärtig zu sein auf der Karibikinsel

Der Musiker ist in seiner Heimat eine touristische Kultfigur. Jeder in Kingston kann einen Hit von ihm singen, als hätten sie das in der Schule gelernt.

Ueli Bernays 6 min
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Bob Marley hat Jamaica auf die Landkarte der globalen Pop-Szene gesetzt.

Bob Marley hat Jamaica auf die Landkarte der globalen Pop-Szene gesetzt.

Mary Evans / Imago

Wer von Bob Marley spricht, muss ein Fremder sein. Denn die Jamaicaner nennen ihn alle nur Bob. Und Bob ist ein Idol. Ein Monument, zu dem sie schon so oft aufgeschaut haben, dass sich viele dazu keinen eigenen Gedanken erlauben wollen.

«Was bedeutet euch Bob Marley?» In der kleinen Minderheit der Rastafarians, die mit ihren Dreadlocks die Jamaica-Klischees noch immer mitprägen, mag der Reggae-Pionier bis heute wie ein Prophet verehrt werden. «Yaman, Bob war ein grosser Künstler», murmeln sie durch ihre zahnlosen Gebisse, die aus religiösen Gründen nie ein Zahnarzt sehen durfte.

Wenn man jüngere Jamaicaner auf Bob Marley anspricht, erschrecken sie fast ein bisschen, zucken mit den Achseln, um den Star zu rühmen wie irgendeinen verdienstvollen Onkel: «Yaman, Bob hat Reggae weltweit bekannt gemacht.»

Alte und junge Idole

Wird es verlangt, können alle einen Bob-Marley-Hit singen, als hätten sie das in der Schule gelernt. Die Jugend aber schwärmt für jüngere Idole. Etwa für Popcaan, der sich unter Weltstars wie Drake und Burna Boy gemischt hat. Oder für Koffee. Die Sängerin sorgt nicht nur für Aufsehen, weil sie Reggae- und Dancehall-Muster in den zeitgenössischen Pop pflanzt – zum Beispiel an der Seite des britischen Superstars Sam Smith. Da sie sich zuweilen in Männerkleidern zeigt, wird auch ihre sexuelle Identität heftig diskutiert.

Obwohl die Zeit nicht an Bob Marley vorübergegangen ist, scheint er allgegenwärtig zu sein auf der Karibikinsel. Von Montego Bay bis Ocho Rios und von Negril bis Kingston ist seine klagende Stimme überall zu vernehmen. Das hat mit der Musikkultur indes weniger zu tun als mit dem Tourismus. Hinter jeder Tür, aus der «No Woman, No Cry» dringt, verbirgt sich ein touristisches Angebot. An der Hotelbar kriegt man einen Bob-Marley-Drink, im Hotelpool werden beim Aquafit Bauch und Muskeln zu Bob-Marley-Gesängen trainiert.

Dass sich die Reggae-Koryphäe noch immer als Geldmaschine und als touristischer Magnet bewährt, ist nicht zuletzt auf seine Familie zurückzuführen. Seit der Pop-Star im Mai 1981 gestorben ist, haben es die Verwandten verstanden, sein materielles Erbe ebenso wie sein kulturelles Vermächtnis ökonomisch in Anspruch zu nehmen. Das galt zunächst für die Mutter Cedella und die Witwe Rita, die gleichsam als Erbverwalterinnen ihre eigenen Gesangskarrieren lanciert haben.

Die kultische Ausbeute konkretisiert sich heute noch an verschiedenen Wallfahrtsorten. In Nine Miles, tief im jamaicanischen Hinterland, wo Bob Marley am 6. Februar 1945 im Haus des Grossvaters zu Welt kam, steht das Marley-Mausoleum. Mehrere bunkerartige Gebäude bilden hier eine touristische Festung mit Souvenirshops, Pizzaladen und Kultstätten. Eine Armada von Helfern und Helfershelfern steht herum, heisst einen willkommen, reicht einen weiter, bis man im Innenhof der Gebäulichkeiten landet.

Begleitet von ein paar verschlafenen Jugendlichen trällert hier der hochgewachsene, mit bunten Shirts geschmückte Sänger Captain Crazy seine eigenen Reggae-Schnulzen und lässt dazu meterlange Dreadlocks schwingen. Auf das Konzert folgt sogleich eine erste Kollekte bei den zwei Dutzend Touristen. Gleichzeitig werden sogenannte Jerks feilgeboten, jamaicanische Fleischsaucen.

Danach erst führt Captain Crazy die Gäste einen lauschigen Pfad hinauf zum eigentlichen Mausoleum. Man darf hier, mit Kerzen bewehrt, das Marmorgrab umrunden, Fotografieren hingegen ist streng verboten. Auf die rituelle Andacht folgt Captain Crazys zweite Show. Er erzählt nicht nur anzügliche Witze, deren Pointen zumeist im breiten Patois untergehen. Er demonstriert überdies – «ihr dürft das auf Facebook zeigen» –, wie ein Spliff fachgerecht gedreht wird.

Ein Tänzer mit Bob-Marley-Liedtexten im Gesicht am jährlichen Notting Hill Carnival in London 2006.

Ein Tänzer mit Bob-Marley-Liedtexten im Gesicht am jährlichen Notting Hill Carnival in London 2006.

Chris Jackson / Getty 
Ein Jamaicaner schwingt eine Fahne mit dem Gesicht Bob Marleys.

Ein Jamaicaner schwingt eine Fahne mit dem Gesicht Bob Marleys. 

Michael Steele / Getty

Bob Marley wird überall als Symbolfigur der Freiheit gefeiert.

Marley im Museum

Viel aufschlussreicher ist auch das Bob-Marley-Museum in Kingston nicht. Nachdem der Musiker aus dem Armenviertel von Trenchtown ausgezogen war, residierte er samt seiner wachsenden Entourage in diesem villenartige Anwesen an der Hope Street 56 in Uptown Kingston. Hier richtete er auch sein eigenes Studio ein. Und hier wird nun seine materielle Hinterlassenschaft gezeigt.

«Die Energie, die ihr mir schenkt, gebe ich euch auch wieder zurück!» Mit diesen Worten begrüsst der junge, aufgekratzte Guide sein Publikum, das er nun durch die Räume führt. Und so wandelt man ihm hinterher durch das alte Studio und verschiedene Gemächer. An den Wänden sind zahllose Fotos zu sehen, Bilder aus Marleys Jugend, Bilder von Marley als Fussballer, Aufnahmen seines weissen Vaters und seines Rasta-Idols Haile Selassie. An einer Mauer hängen ein paar zerrissene Jeans («Bobs Lieblings-Jeans!» ) und alte, beige Hemden («Bobs Lieblings-Hemden!»).

Während der 60-minütigen Führung weiss der Guide zwar nicht allzu viel zu berichten. Dafür stimmt er gnadenlos Song um Song an. Und damit ihm die Energie nicht ausgeht, müssen auch wir Besucher uns gesanglich durchs Bob-Marley-Repertoire kämpfen. Während man selbst im Refrain steckenbleibt, kennen die passionierten Fans die Strophen bis zur letzten Silbe.

Es ist überraschend, dass man im Bob-Marley-Museum nicht mehr über andere Musiker erfährt. Über Bobs Partner Peter Tosh und Bunny Wailer zum Beispiel verliert der Guide kaum ein Wort. Dabei könnte man hier die ganze Reggae-Geschichte und die lange Rastafari-Tradition aufgreifen. Und obendrein Kingstons Sozialgeschichte thematisieren. Man könnte die Entwicklung der jamaicanischen Musikindustrie aufarbeiten – und all jener Sängerinnen und Begleiter gedenken, auch all jener Soundsystems, DJ und Produzenten, denen Bob Marley seinen Erfolg mit zu verdanken hatte.

Und so könnte man das Geheimnis zu lüften versuchen, weshalb die kleine Karibikinsel die globale Pop-Kultur bis heute mitprägt. Bob Marley hat damit zweifellos sehr viel zu tun. Der Bob-Marley-Tourismus ist eine Spätfolge einer internationalen Reggae-Manie, die vor rund fünfzig Jahren ausgelöst wurde.

Kingston, 22. April 1978: Am «One Love Peace»-Konzert bringt Bob Marley zwei politische Opponenten zusammen: den Premierminister Michael Manley (links aussen) und Edward Seaga (Dritter von links).

Kingston, 22. April 1978: Am «One Love Peace»-Konzert bringt Bob Marley zwei politische Opponenten zusammen: den Premierminister Michael Manley (links aussen) und Edward Seaga (Dritter von links).

Redferns / Getty

Internationale Marley-Manie

Das jamaicanische Publikum hatte der Sänger zuvor schon erobert mit seinen anrührenden Gesängen und seinem verführerischen Repertoire, das Protest mit Liebe kombinierte und Klagen mit Euphorie. Dass ihm schliesslich der weltweite Durchbruch gelang, war der Zusammenarbeit mit Island Records zu verdanken. Das Plattenlabel des britisch-jamaicanischen Unternehmers und Trendsetters Chris Blackwell paarte Marleys melodische Sensibilität mit der Grossspurigkeit des Rock’n’Roll. Er fügte die synkopisch hüpfenden Bässe und majestätisch federnden Rhythmen in einen satten Gesamtklang, der sich bis heute bewährt. Ebenso wichtig waren Promotion und Vertrieb, die in den USA und Europa das Feld bereiteten für Bob Marley.

Im April 1973 kam «Catch A Fire» heraus, Bob Marleys Debütalbum bei Island Records. Noch im gleichen Jahr folgte sein erster internationaler Grosserfolg – das Album «Burning». Und als 1974 «Natty Dread» erschien, da hatte das Reggae-Fieber wenn nicht die ganze Welt, so jedenfalls die Elite der internationalen Pop-Szene erfasst. Paul McCartney erklärte Reggae damals zum wichtigsten neuen Einfluss der Musikszene. Für die Hochzeit von Mick und Bianca Jagger musste eine Reggae-Band her. Paul Simon reiste nach Jamaica. Eric Clapton landete mit Marleys «I Shot The Sheriff» einen seiner grössten Hits.

1973 traten Bob Marley and the Wailers mit den Jackson Five auf, 1975 gaben sie ein Konzert mit Stevie Wonder. Von noch grösserer Bedeutung war das «One Love Peace»-Konzert 1978 in Kingston, wo der Reggae-Sänger politische Todfeinde – den konservative Edward Seaga und den Sozialisten Michael Manley – zu einem Handshake bewegen konnte. Oder der Auftritt im April 1980 am Unabhängigkeitsfest Simbabwes, der Bob Marley zur Ikone Panafrikas machte, bevor er im Mai 1981 einem Krebsleiden erlag.

Aber nicht nur Bob Marleys Ska und Reggae werden seither auf der ganzen Welt gespielt. Auch seine Nachkommen inspirierten die globale Pop-Musik immer wieder. Die Dancehall-Deejays, die über Instrumental-Tracks Sprüche klopften und Witze rissen, haben damit junge Afroamerikaner zum Rappen animiert. Die Reggae-Produzenten, die ihre Instrumental-Arrangements in stets neuen «Versions» herausbrachten, haben die Remix-Kultur von Hip-Hop und Techno vorweggenommen. Auch heute noch gehen musikalische Trends auf jamaicanische Einflüsse zurück: Reggaeton scheint sich zwar von Mittel- und Lateinamerika aus über die Welt verbreitet haben. Aber wer hat auch diesen Sound erfunden?

Jamaica schmückt sich bis heute gerne mit Bildern von Bob.

Jamaica schmückt sich bis heute gerne mit Bildern von Bob.

Jean-Luc Manaud / Gamma-Rapho / Getty