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Fotostrecke

Aus den Anfängen der Bildbearbeitung: Lincolns Kopf und Calhouns Körper

Foto: Joyce F. Menschel Photography Library Fund

Frühe Bildmanipulationen Als die Fotos lügen lernten

Bilder geben nicht immer die Wirklichkeit wieder. Schon kurz nach Erfindung der Fotografie wurde kräftig manipuliert - man tauschte Köpfe und Körper aus oder stellte Hinrichtungen nach. einestages zeigt besonders krasse Fälle.

Der französische Fotograf Eugène Appert hielt das Grauen für die Ewigkeit fest. Mönche, die im mörderischen Kugelhagel Uniformierter sterben, ein Exekutionskommando, das gerade auf den Erzbischof von Paris zielt. Der Betrachter kann erahnen, dass bald Schüsse den Geistlichen und seine fünf Leidensgenossen töten werden. Besonders verstörend ist eine Aufnahme eines augenscheinlich bevorstehenden Massenmords: Dutzende Menschen blicken aufgereiht in die Gewehrläufe ihrer zahlreichen Mörder, die vor ihnen Aufstellung genommen haben. Das auffälligste Detail dieser Fotografie: Einige der Schützen sind Frauen.

"Verbrechen der Commune" nannte Appert seine Bilderserie, die den Schrecken der sogenannten Pariser Blutwoche festhielt. Ende Mai 1871 erstürmte die französische Armee die Hauptstadt, in der seit März ein sozialistisch-revolutionärer Stadtrat, die Pariser Kommune, herrschte. In auswegloser Lage richteten die Kommunarden zahllose Geiseln hin. Appert lieferte der schockierten Öffentlichkeit die blutigen Bilder zu den Exekutionen. Seine Fotografien haben allerdings einen Makel: Sie sind nicht echt.

Schauspieler und Statisten

Appert war nach der Niederschlagung des Aufstands ein vielbeschäftigter Mann. Mit seiner Fotoausrüstung besuchte er die Prozesse gegen die angeklagten Anhänger der Kommune und lichtete sie ab. Auch in den Gefängnissen waren die Verhafteten nicht vor ihm sicher. Zudem dirigierte Appert ein Heer von Schauspielern und Statisten, die für ihn Blutszenen der Kommune - teils nach Hörensagen, teils frei erfunden - nachstellen mussten und die er dann zusammenmontierte. Anschließend ersetzte Appert die Gesichter der gespielten Mörder in seinen Fotografien durch die Köpfe von Verhafteten, die er im Gerichtssaal und im Gefängnis porträtiert hatte. Fertig waren schockierende Gräuelszenen, die in dieser Form allerdings niemals stattgefunden hatten.

Bei genauerer Betrachtung fiel bereits einigen Zeitgenossen die unrealistische Mimik der Fotografierten auf. Dem Verkauf der Bilder tat dies keinen Abbruch. Die Käufer suchten in diesen Aufnahmen die Bestätigung ihrer vorgefassten Meinung, dass die Kommunarden skrupellose Verbrecher waren.

Lesen Sie im SPIEGEL 42/2014: "Falsche Opfer" - Aufnahmen, die angeblich Flucht und Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten zeigen, stammen in Wirklichkeit aus anderen Zeiten.

Die Behörden stoppten schließlich den Verkauf, weil sie neue Unruhen befürchteten - ausgelöst durch aufgehetzte Bürger, die angesichts der von Appert gestellten Szenen Rache an echten oder vermeintlichen Anhängern der Kommune nehmen wollten. Grausamkeiten, die die Regierungstruppen den Anhängern der Kommune angetan hatten, hatten Appert hingegen nicht zu einer entsprechenden Fotoserie bewegt.

Fotografien als Stückelei

Der Franzose Appert, der die Kommune aus tiefstem Herzen ablehnte, war nicht der Erste, der sich in der Bildmanipulation versuchte. Bereits kurz nach der Erfindung der Fotografie erprobten Fotografen die Möglichkeiten dieser neuen Technik. Im Krim-Krieg von 1853 bis 1856 arrangierte der britische Fotograf Roger Fenton in seiner Aufnahme "Tal des Todesschattens" noch zahlreiche Kanonenkugeln per Hand, um einen dramatischeren Effekt zu erzielen. Bald gestalteten Fotografen ihre und fremde Aufnahmen auf raffiniertere Art und Weise: Glasplatten und Abzüge konnten per Pinsel und Farbe nachbearbeitet werden, der Fotograf setzte ein Bild aus mehreren zusammen und fotografierte es erneut.

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Aus den Anfängen der Bildbearbeitung: Lincolns Kopf und Calhouns Körper

Foto: Joyce F. Menschel Photography Library Fund

Auf diese Art und Weise konnten fehlende Verwandte plötzlich trotzdem auf dem Familienfoto erscheinen. Und Schwächen der frühen Fotografie behoben werden:

Auf blaues und violettes Licht reagierten die ersten für die lichtempfindlichen Schichten verwendeten Chemikalien besonders gut. Insbesondere für Landschaftsfotografen bedeutete dies doppelte Arbeit, weil bei nur einer Aufnahme ein blauer Himmel überbelichtet gewesen wäre. Sie fertigten stattdessen zwei Negative eines Motivs an: Einmal den Himmel, einmal die Erde, und fügten die beiden Bestandteile anschließend zusammen.

Aus drei mach eins

Auch der politischen Inszenierung eröffnete dies neue Möglichkeiten. Ein vorgebliches Foto aus dem amerikanischen Bürgerkrieg zeigt den General und späteren US-Präsidenten Ulysses S. Grant in Feldherrnpose zu Pferd. In seinem Rücken kampieren Soldaten, weiße Zelte heben sich vor dem Hintergrund ab. Schauplatz ist die sogenannte Belagerung von Petersburg, die im Juni 1864 begann. Bei genauer Betrachtung fallen einige Unstimmigkeiten auf. Zum Beispiel ziert lediglich ein Generalsstern Grants Schulterstücke - dabei müssten es zu diesem Zeitpunkt des Kriegs bereits drei sein. Auch sein Reittier ist ungewöhnlich: In Details unterscheidet sich das Pferd von den drei Tieren, Egypt, Cincinnati und Jeff Davis, die der General für gewöhnlich ritt. Zudem lassen sich bei genauem Hinschauen verdächtige Kratzspuren über dem Kopf des Pferdes und an Grants Gesicht feststellen.

Tatsächlich stand der General niemals in dieser Haltung einem Fotografen Modell. Der einzige Körperteil auf diesem Foto, der tatsächlich Grant gehörte, ist sein Kopf.

Sein Haupt war nachträglich auf einen reitenden Körper gesetzt worden, der General Alexander McDowell McCook gehörte - und der zum Zeitpunkt der Aufnahme zumindest einen Stern weniger als Grant auf der Schulter trug. Die Soldaten hinter ihm standen in Wirklichkeit nicht einmal auf der "richtigen" Seite: Es handelt sich um konföderierte Gefangene, nicht um Unionstruppen. Auseinandergerissen und zusammengefügt ergaben die drei Aufnahmen aber ein völlig anderes Bild - und setzten Grant als Feldherrn eindrucksvoll in Pose.

Die Diktatoren des 20. Jahrhunderts wussten die Möglichkeiten der Fotofälschung systematisch zu nutzen: Josef Stalin ließ Nebenbuhler und Gegner aus Fotos ebenso wegretuschieren wie Adolf Hitler den ebenso loyalen wie promiskuitiven Joseph Goebbels in einer Gruppenaufnahme mit der Regisseurin Leni Riefenstahl. Aber auch in Demokratien ist die Fotomanipulation nicht unbekannt. So landete der Kopf des Sklavenbefreiers Abraham Lincoln nach seinem Tod mittels Montage ausgerechnet auf dem Körper des Sklavereianhängers John C. Calhoun. Eine solche Bearbeitung von Fotografien erlaubte es, störende Details der Wirklichkeit zu entfernen und sich selbst in besserem Licht dastehen zu lassen.